Dr. Angelika Paseka: Frau in der Kirche - 26.2.2006

Gehalten am Sonntag, 26.2.2006, im Rahmen der 10 Uhr Gemeindemesse der Pfarrgemeinde Gersthof-St.Leopold, Wien 18.

 

Von „Die Frau in der Kirche“ zu „Gender im kirchlichen Mainstream“

Liebe Gemeinde!
Als ich vor zwei Wochen gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte zum Thema „Frau in der Kirche“ zu predigen, war ich unsicher, ob ich annehmen sollte – und das aus mehreren Gründen:

Ich bin keine Theologin, sondern Soziologin, tätig in der Lehrer/innenaus- und -fortbildung. Einer meine Schwerpunkte sind dabei geschlechtertheoretische Fragestellungen ebenso wie Fragen nach einer geschlechtergerechten Pädagogik. Mit Theologie habe ich also wenig zu tun.

Mein zweites Problem war grundsätzlicher Art – bedingt durch das Thema: DIE Frau in der Kirche. Wenn ich aber in den Raum blicke, so sehe ich nicht DIE Frau. Ich sehe ...
dicke und dünne Frauen,
große und kleine,
Frauen, die zuhause arbeiten, und solche, die für ihre Arbeit Geld bekommen,
Frauen, die unterschiedliche Schulen besucht haben,
Frauen, die in Partnerschaften mit Männern leben, und solche, für die diese Form nicht lebbar erscheint,
Frauen, die in ihrer Kirche etwas sagen wollen, und solche, die lieber zuhören.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, doch egal wie lang sie ist, das Resultat ist:
Es gibt DIE Frau in der Kirche NICHT!

Daraus ergibt sich die nächste Frage: Gibt es DEN Mann in der Kirche?
Kirche hat den „touch“ eine „Männerkirche“ zu sein, und das trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der Personen, die Gottesdienste mitfeiern, Frauen sind. Es heißt weiters: DIE Männer haben Macht, Bestimmungsmacht, Handlungsmacht. Haben DIE Männer das tatsächlich? Denn: Auch unter den Männern gibt es solche, die gerne ein Priesteramt ausüben wollen, es aber nicht dürfen, weil sie zugleich in einer Partnerschaft mit einer Frau leben und Kinder haben wollen. Da gibt es Männer, die sich nicht zu Frauen hingezogen fühlen, und deshalb wie „Aussätzige“ behandelt werden; und es gibt Männer, die lieber zuhören als machtvoll in Prozesse eingreifen wollen.

Das Thema hat also einen „Haken“, weil es den Blick nur auf zwei Punkte richtet: da DIE Frau, dort DER Mann.
Das bringt nicht weiter, das polarisiert. Bei solchen Schwarz-Weiß-Bildern geht es mir grundsätzlich nicht gut, weil das viel zu simpel ist, die Realität nur ungenügend widerspiegelt und Vielfalt unsichtbar macht. Dem Thema gerecht zu werden, bedeutete für mich: den Blick erweitern, dieses einfache Muster (hier Frau, dort Mann) aufzubrechen.

Um das möglich zu machen, habe ich vorgeschlagen das Thema ein wenig zu ändern und ein neues Wort einzuführen: Gender Mainstreaming. Es stammt aus dem Bereich der Geschlechterpolitik und wurde 1998 von der EU proklamiert. Ich will dieses Wortungetüm kurz erläutern, denn vielleicht hilft es uns, und damit meine ich: der Kirche, weiter, hilft vielleicht neue Perspektiven zu erkennen unter der Vermeidung von einschränkenden Polarisierungen.

Gender Mainstreaming setzt sich aus zwei Wortteilen zusammen:
gender = Geschlecht, mainstream = Hauptstrom.

Der Begriff bedeutet: Die Kategorie „Geschlecht“ ist in den Hauptstrom zu bringen, d.h. bei allem Tun und Handeln, bei allen Aktivitäten, Angeboten und Programmen in Organisationen ist die Kategorie „Geschlecht“ mitzudenken und zu fragen: Was bedeutet diese oder jene Aktion, dieses oder jenes Handeln für Frauen UND für Männer?
NICHT: Die Frau in der Kirche ist das Thema,
SONDERN: Frauen UND Männer in der Kirche sind der Fokus. Frauen UND Männer sind in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und diese Vielfalt an Zugängen und Begabungen gilt es für die Organisation zu nutzen UND Wege zu finden, dieser Vielfalt gerecht zu werden, durch die Art und Weise, wie Menschen angesprochen werden, wie sie in die tägliche Arbeit eingebunden werden.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   bedeutet nicht neue Lappen auf ein altes Kleidungsstück zu flicken, sondern verlangt ein neues Gewand zu schneidern, das für einen anderen Stil steht und vielfältige Dimensionen berücksichtigt.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen
...   bedeutet nicht das Thema „Frau in der Kirche“ einfach ergänzend, als „neuer Lappen“, aufzuflicken, sondern auf das VERHÄLTNIS von Frauen und Männern zu sehen und es zu verändern, Frauen nicht mehr als Sonderkategorie wahrzunehmen, sondern die Strukturen zu hinterfragen, durch die sich viele Frauen und auch viele Männer in der Kirche nicht ausreichend angesprochen fühlen.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   bedeutet, Vielfalt ernst zu nehmen, Vielfalt wahrzunehmen, nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   heißt, Ausgrenzungen zu hinterfragen und aufzubrechen, bedeutet, Fremdes und Unbekanntes zu wagen, bedeutet, Tabus zu brechen, bedeutet: Mut.

Jesus war mutig: Er hat mit Traditionen gebrochen und Neues gewagt:
Er ist mit Aussätzigen, Kranken, sozial Deklassierten und Geächteten in Kontakt getreten.
Er hat kulturelle Grenzen überschritten und ist auf Fremde zugegangen [siehe das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bzw. das Ansprechen einer Samariterin am Jakobsbrunnen].

Jesus hatte keine Berührungsängste mit Frauen:
Er hat sie in Gleichnissen in den Mittelpunkt gestellt [z.B. im Gleichnis von der verlorenen Münze].
Er hat sie durch sein Handeln aufgewertet [siehe Heilung der Frau am Sabbat],
Er hat ihre Probleme und Diskriminierung erkannt und den traditionellen Umgang mit ihnen in Frage gestellt [siehe seine Stellungnahme zur Ehebrecherin].
Er hatte auch keine Ängste sich von Frauen helfen zu lassen und sie als unterstützend wahrzunehmen.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   bedeutet, dass die Organisation Kirche und in dieser diejenigen, die Gestaltungsmacht haben, aufgerufen sind zu hinterfragen, ob die Organisationsstrukturen der Vielfalt der Menschen und ihrer Talente gerecht werden, oder ob nicht Begabungen vergeudet werden, weil bestimmte Personengruppen für bestimmte Aufgaben nicht zugelassen werden.

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   bedeutet Differenzen wahrzunehmen, und zwar nicht nur die zwischen Frauen und Männern, sondern auch die innerhalb der Gruppe der Frauen wie der Männer; bedeutet weiters diese Differenzen im Sinne einer gleichwertigen Vielfalt zu interpretieren und zum Segen für alle einzusetzen. Annedore Prengel, eine Erziehungwissenschafterin, prägte den Begriff „Pädagogik der Vielfalt“, wie wäre es daher mit: Kirche der Vielfalt?

Gender in den kirchlichen Mainstream zu bringen

...   braucht Menschen, die ihre vielfältigen Begabungen einbringen, der Kirche nicht den Rücken kehren, sondern mutig fordern und ihre Ansichten vertreten und ihre Talente einbringen, Frauen ebenso wie Männer.

Auf meinem Schreibtisch habe ich einen Satz von Rabindranath Tagore, einem bengalischen Philosophen und Dichter, hängen:
Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist.

Dieser Ausspruch hat mir in vielen Situationen geholfen. Auch beim Thema Frau in der Kirche gibt er mir Kraft und Zuversicht. Ich glaube, dass wir Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurden, in Vielfalt geschaffen wurden. Denn Gott ist nicht eindimensional, sondern Gott füllt und durchdringt Raum und Zeit in vielen Facetten und Gestalten. Wenn „Kirche“ ihrem Gott gerecht werden will, so gilt es die vielfältigen Schätze in seinem Sinne zu nutzen, zu beleben und zu leben.