Bischof Aichern würdigt Kpl. Heinrich Maier

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Der damalige Gersthofer Kaplan Dr. Heinrich Maier wurde am 22. März 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtet, in unserer Pfarre gedenken wir dieses Ereignisses jedes Jahr. Für heuer hatte der Linzer Alt-Bischof Maximilian Aichern sein Kommen auf eine Einladung von Pfr. Norbert hin zugesagt und er ist dem 10 Uhr-Gottesdienst am Sonntag, 2. April, vorgestanden. In seiner Predigt hat Bischof Aichern einen sehr menschlichen Blick auf Kaplan Maier geworfen und die Mitfeierenden eingeladen, sich an dessen vom Gewissen geprägten Handeln auch heute zu orientieren.

Bischof Aicherns Predigt im Wortlaut:

(Die Lesungen waren:  Buch Ezechiel 37, 12b-14; Johannes-Evangelium 11, 1-45)

Die biblischen Lesungen heute am 5. Fastensonntag, die wir eben gehört haben, passen sehr gut zum Gedenken an euren Märtyrer der NS-Zeit Kaplan DDr. Heinrich Maier.

Wie in der Vision des Propheten Ezechiel öffnet Gott, in besonderer Weise für den 1945 in Wien enthaupteten ehemaligen Kaplan hier in Gersthof, die Gräber. Jesus ist für ihn – wie auch für uns – „die Auferstehung und das Leben“. So sagt es Jesus im Evangelium zu Marta und setzt durch die Auferweckung des Lazarus vom Tod ein Zeichen, dass durch ihn Gott wirklich Leben schenkt.

Heinrich Maier ist 1908 in Großweikersdorf im Weinviertel, nördlich des Tullnerfeldes, geboren. Sein Vater war Beamter der Österreichischen Bundesbahnen und zog mit seiner Familie mehrfach an andere Orte, wo er eben Anstellungen erhielt. Heinrich Maier besuchte das Gymnasium in St. Pölten in Niederösterreich, dann jenes in Leoben in der Steiermark, wo er 1926 maturierte. Dann trat er ins Wiener Priesterseminar ein und studierte an der Theologischen Fakultät der Wiener Universität. 1928 kam er ins Collegium Germanicum nach Rom und studierte weiter an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. In dieser Zeit waren in Rom seine Studienkollegen Franz König, der spätere Kardinal-Erzbischof von Wien, Karl Berg, der spätere Erzbischof von Salzburg, Josef Köstner, später Bischof von Gurk-Klagenfurt, und Franz Zauner, später Bischof in Linz. Nach dem Doktorat in Rom kehrte er wieder ins Wiener Alumnat und zum Studium an die Wiener Theologische Fakultät zurück und wurde am 24. Juli 1932 im Wiener Stephansdom mit seinen Jahrgangskollegen von Kapitelvikar Weihbischof Dr. Franz Kamprath zum Priester geweiht.

In Wien war damals kein Erzbischof, weil kurz vorher Kardinal Piffl verstorben war und Innitzer noch nicht ernannt war. Übrigens hat mich bald nach dem 2. Weltkrieg Weihbischof Kamprath in der Kirche St. Michael in Wien 1 gefirmt. Der Stephansdom war damals im Wiederaufbau, von den Zerstörungen des 2. Weltkrieges unbenützbar. Dr. Maier wurde nach seiner Priesterweihe Kaplan in Schwarzau im Steinfeld, in Reichenau, in Mödling und schließlich hier in Wien-Gersthof. Er war ein sehr angesehener Kaplan mit frohem Gemüt, der bei den Menschen ankam und vor allem zu Kindern und Jugendlichen einen guten Zugang hatte. Er war gläubig, menschenfreundlich und weltoffen. Er war auch Religionsprofessor an verschiedenen Höheren Schulen, zuletzt am Gymnasium der Marienbrüder hier in Währung in der Semperstraße.

Als der Religionsunterricht 1938 durch das NS-Regime generell verboten wurde, blieb er weiterhin Kaplan in Gersthof und studierte weiter an der Wiener Theologischen Fakultät, auch Jus. Ich erinnere mich, dass ich in der Volksschule in Wien, die ich 1939 begann, keinen Religionsunterricht mehr hatte, aber wir hatten in der Pfarre bei den Kalasantinern in Wien 14 Seelsorgsstunden, zu denen ich sehr gerne ging. Allerdings hatten wir dann, als ich 1943 in die Realschule Wien 14, Astgasse kam, einige Monate einmal wöchentlich am Nachmittag eine Religionsstunde. Sie wurde gehalten von einem damaligen Kaplan, dem späteren Wiener Domkapitular Prälat Koroschetz.

Kaplan Dr. Maier hatte bereits 1940 erste Kontakte mit Widerstandskämpfern. Bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo 1944 hatte er Verbindungen mit deutschen Widerstandsgruppen und katholischen Gewerkschaftern wie Jakob Kaiser sowie zu christlich-sozialen Widerständlern wie Felix Hurdes, dem späteren Nachkriegs-Unterrichtsminister, Lois Weinberger, dem Nachkriegs-ÖVP-Obmann von Wien, und auch zu Regimegegnern wie Adolf Schärf, dem Nachkriegs-Vizekanzler und Bundespräsidenten, und Karl Seitz, der am Beginn der Republik Österreich 1918 Parlamentspräsident und danach langjähriger Bürgermeister von Wien war. Zusammen mit dem Tiroler Widerstandskämpfer Walter Caldonazzi und Franz Josef Messner, dem Generaldirektor der Semperit-Werke von Traiskirchen, hat er die Widerstandsgruppe Maier-Messner-Caldonazzi gegründet. Mitglieder der Gruppe wurden von Leuten verraten, von NS-Leuten beobachtet und nach und nach verhaftet. Kaplan Maier wurde am 28. März 1944 hier in der Kirche der Pfarre Gersthof nach einem Gottesdienst verhaftet und kam in Gestapohaft am Wiener Morzinplatz. Dort haben die Inhaftierten nach Berichten von Überlebenden, wie Pater Zeininger und der spätere Nachkriegs-Bundeskanzler Figl, Schreckliches an Verhören, an Folterungen und anderen Querelen in engen Räumen durchgemacht. Kaplan Maier wurde dort nach schrecklichen Verhören wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ durch „Beteiligung an einem separatistischen Zusammenschluss“ zum Tode verurteilt.

Eine von Maier damals verfasste Botschaft stellte fest: ‚Das gemeinsame Leid hat die Gegensätze im österreichischen Volke überbrückt. Die Parteien, ob rechts oder links, finden sich nun auf einer gemeinsamen Plattform. Sie bejahen das unabhängige, demokratische Österreich. Wir sind bereit, in der Nachkriegszeit unseren Platz in der neugeordneten Völkerfamilie Europas einzunehmen‘. Das sind gewichtige Feststellungen mit Blick auf die damals stark leidende Ostmark, wie Österreich nun hieß, mit Blick auf die Gegensätze in der 1. Republik und dem Blick bereits nach vorne in ein vereintes Europa.

Im November 1944 wurde Dr. Maier in das KZ Mauthausen verlegt, wo man ihn weiterhin über den Widerstand befragte, er aber nichts verriet.  Gnadengesuche für seine Entlassung aus der Haft von Kardinal Innitzer, vom Rektor der Wiener Universität und von seiner eigenen Mutter, blieben erfolglos. Ob Dr. Maier im KZ Mauthausen auch den zur Zwangsarbeit internierten französischen Jung-KAJisten Marcel Callo kennen lernte, ist unbekannt. Callo starb am 19. März 1945 an starker Entkräftung durch die Zwangsarbeit in den Gusener Stollen, die Drangsale und die geringe Nahrung. Am 18. März 1945 wurde Dr. Maier nach Wien zurückgebracht und am 22. März 1945, am letzten Hinrichtungstag vor der Befreiung Wiens durch die Alliierten, im Landesgericht Wien 1 mit anderen Verurteilten durch das Fallbeil geköpft. Der evangelische Pastor, der Kaplan Dr. Maier zum Fallbeil geleitete, berichtete bewegt, dass er mit den Worten starb: „ES LEBE CHRISTUS DER KÖNIG! ES LEBE ÖSTERREICH!“

Dr. Maier wurde mit den anderen damals Getöteten in einem Schachtgrab am Wiener Zentralfriedhof beerdigt, aber gleich nach Kriegsschluss im Mai 1945 wurde er von Freunden dort exhumiert und erhielt ein Ehrengrab im Friedhof in Neustift am Walde. 1949 wurde in Wien-Pötzleinsdorf die Dr. Heinrich Maier-Straße nach ihm benannt. 1988 wurde am Gersthofer Pfarrhaus eine Gedenktafel für ihn angebracht. Hans Schwabenicky schuf für die Gersthofer Kirche eine Holzskulptur „Der Kopflose“, der Komponist Gerald Spitzner, ein Großneffe, widmete ihm das „Heinrich-Maier Oratorium“, das gewiss viele von euch kennen.

Dr. Maier hat viel zur Überbrückung der politischen Gegensätze in Österreich und zur Bildung eines nachhaltigen Österreich-Bewusstseins getan. Er war einer der nicht wenigen Österreicherinnen und Österreicher, die sich gegen die Nazi-Herrschaft gestellt und dafür ihr Leben eingesetzt haben. Von 1938 bis 1945 waren 724 österreichische Priester im Gefängnis. Von ihnen sind 7 in der Haft gestorben. 110 kamen in KZs, von ihnen sind 20 zugrunde gegangen, 15 wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Über 300 Priester waren gau- oder landesverwiesen, über mehr als 1500 waren Predigt- und Unterrichtsverbot verhängt worden.

Dr. Heinrich Maier ist auch für uns heute ein Rufer und Mahner, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Er ist Symbol dafür, dass das Gewissen die letzte entscheidende Instanz des Einzelnen für das eigene Handeln ist und erinnert an die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben und die ihm anvertrauten Bereiche des sozialen Zusammenlebens. Das Gedenken an ihn erinnert uns an unsere Aufgabe, unseren Einsatz heute für Gerechtigkeit und Frieden und auch für die Bewahrung der Schöpfung zu verstärken.

 

Die österliche Bußzeit – so schreibt Papst Franziskus in seiner diesjährigen Fasten-Botschaft – ist eine nachdrückliche Einladung zur Umkehr an uns. Wir sollten die Wege der Mittelmäßigkeit verlassen und uns ganz für Gott und die Mitmenschen einsetzen. Es ist eine Umkehr unter dem Segen und der Hilfe Gottes, wie es auch im Wirken und im Sterben von Kaplan Heinrich Maier sichtbar wurde. Sein Beispiel und unser Interesse für die Zeugen der NS-Zeit sind Zeichen der Hoffnung, dass nicht Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Terror und Krieg, Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit das letzte Wort haben; dass vielmehr die Liebe, und der selbstlose Einsatz für die anderen die stärkere Kraft ist.

 

Schwestern und Brüder! Ich fühle, dass Kaplan Maier und viele andere damals Verurteilte, weil sie für Gerechtigkeit und Frieden waren, nicht in den Gräbern schlafen, sondern von den Wohnungen Gottes in der Ewigkeit her über uns wachen. Und nochmals zu Kaplan Dr. Maier: Er stirbt nicht, weil er in unserer Erinnerung bleibt. Amen.