Gedanken zu den Sonntags-Bibelstellen – 18.8.

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In diesem Sommer wurden Frauen und Männer aus unserer Pfarrgemeinde von Pfarrer Norbert eingeladen, vor allem in den von unserem indischen Aushilfskaplan Suresh geleiteten Samstagabendmessen ihre Gedanken zur den Lesungen des Sonntags allen Gottesdienstbesuchern vorzutragen.

Hier die Gedanken von Susanne Lehne Jer 38,4-6.8-10; Heb 12,1-4; Lk 12, 49-53 vom 18.8.:

War Jesus ein Zelot?

Liebe Brüder and Schwestern im Herrn,

Als ich mich vor 2 Monaten für diesen Predigt Termin gemeldet hatte, habe ich sofort die Bibelstellen nachgeschlagen und war dann ehrlich gesagt bestürzt, ausgerechnet diese, für meine Begriffe so schwierige Evangeliumsstelle erwischt zu haben. Den Sommer über habe ich dann immer wieder die Texte gelesen und bin eigentlich nicht schlauer geworden. Sonntag für Sonntag habe ich mir beim Hören des jeweiligen Evangeliums gedacht, dazu wäre mir sicher mehr eingefallen. Aber ich war immer ein Verfechter des Lektionars and der nötigen Disziplin, die es erfordert, sich eben gerade mit den jeweiligen Bibelstellen auseinanderzusetzen, die so viele andere Christen weltweit auch an diesem Sonntag in der Verkündigung hören.

Heute begegnet uns ein sehr verstörter Jesus, ein getriebener, ja geradezu fanatischer, der die bevorstehende Konfrontation mit den jüdischen und römischen Machthabern scheinbar nicht erwarten kann: „Ich bin gekommen um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“  Manche Interpreten meinen, dass Jesus mit diesem ‚Feuer‘ hier das Gericht im Blick hat, eine Zeit der Entscheidung, eine Zeit der Unterscheidung der Geister, wo er – wie so oft in der Bibel – Feuer als Sinnbild für die Läuterung und Reinigung verwendet. Andere meinen, mit dem Bild des Feuers sei die Liebe gemeint, die Jesus einfordert, eine Liebe, die wirklich lodern und brennen soll, die sich bis zum Äussersten einsetzt.

“Ich muss mit einer Taufe getauft werden und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist.“ Diese Taufe von der Jesus hier spricht, scheint eine Anspielung auf seine Passion zu sein, die er scheinbar mit Ungeduld erwartet. (Wir erinnern uns hier an die Stelle, wo Jesus die Söhne des Zebedäus fragt, ob sie imstande sind, den Kelch zu trinken, den er trinken muss). Er weiss offenbar, dass sein Leiden unausweichlich auf ihn zukommt und – für uns vielleicht unerklärlich, aber dann auch wieder verständlich, will er es möglichst rasch hinter sich bringen. Hier scheint mir gerade seine Menschlichkeit sehr deutlich hervorzutreten und ich glaube, wir dürfen seine provokanten Äusserungen als Folge dieser sehr menschlichen Gefühle der Bedrängnis und Todesahnung  begreifen.

„Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung.“

Wie sollen wir dies verstehen? Es ist uns nahezu selbstverständlich zu postulieren, dass Jesus gekommen sei, um Frieden zu bringen. So viele seiner Worte und Taten scheinen doch auf Frieden und Heil und Versöhnung  als Ziel seiner Botschaft und seines Handelns hinzudeuten. Und besonders irritierend scheint uns dann die Passage über die Spaltung in den Familien. Ich vermute, dass ich nicht die einzige unter uns bin, der es hier den Magen umdreht.

Wie sollen diese Aussagen für uns „Evangelium“ – ‚frohe Botschaft‘ sein? Wo finde ich hier etwas, was mir auf meinem Weg der Nachfolge helfen kann?

Während ich mit diesen Fragen in den letzten Wochen gerungen habe, ist mir durch die Medien etwas untergekommen, was es mir wert scheint, hier kurz zu skizzieren.

Man könnte nämlich unsere heutige Stelle und einige andere in den Evangelien so interpretieren, dass Jesus in Wahrheit ein Zelot war – nämlich einer, der seine jüdischen Mitbürger zur Revolte gegen die römische Fremdherrschaft aufstacheln wollte und das Joch der Römer abwerfen und einen jüdischen Gottesstaat errichten wollte. Diese Position kursiert seit gut 200 Jahren immer wieder durch die Literatur, angefangen von einem deutschen Forscher namens Reimarus bis zu dem heutigen amerikanischen Bestseller-Autor Reza Aslan, der ursprünglich aus dem Iran stammt und jüngst ein Buch publiziert hat mit dem Titel „Zealot – The Life and Times of Jesus of Nazareth“. Mit seinen Eltern aus dem Iran in die USA geflohen, war Reza Aslan dann in seiner Jugend fundamentalistischer, evangelikaler Christ, hat sich dann aber durch sein Theologie- und Bibelstudium vom Christentum abgewandt und bekennt sich heute zum Islam. Er ist Religionswissenschaftler und mit einer Christin verheiratet.

Vor dem Hintergrund der damaligen Zeit im ersten Jahrhundert und den politischen und religiösen Strömungen, kommt Aslan zum Schluss, dass Jesus ein Zelot war. Ausgehend von der These dass die Hinrichtung durch Kreuzigung nur Aufrührern, politischen Rebellen, heute würden wir sagen „Terroristen“ vorbehalten war, versucht der Autor – wie schon viele vor ihm – die Auferstehung Jesu als spätere Reinterpretation der Anhänger Jesu zu deuten, die aufgrund ihrer Enttäuschung über das Scheitern ihres Anführers einen Mythos erfunden hätten, damit die Bewegung weiterleben könne. Alle Äusserungen Jesu, die von der Notwendigkeit seines Leidens und Sterbens sprechen und die auf seine Auferstehung hindeuten, werden so späteren Schichten der Tradition zugeordnet und der Autor reduziert den für ihn authentischen Jesus auf einen politischen Eiferer, dessen Königreich ein irdisches, theokratisches Reich meint, welches die Römerherrschaft ersetzen sollte.

Demnach hätten die frühen Christen Jesus später als Friedensbringer uminterpretiert, um sich mit den Römern zu arrangieren.

Ich gestehe, dass ich das Buch selbst nicht gelesen habe, aber ich habe viele Rezensionen gelesen. Ernstzunehmende Bibelforscher und Religionswissenschafter sagen, dass es gar nichts Neues enthält, sondern oft schon gebrauchte Argumente wiederholt, sich aber leicht und flüssig liest wie ein spannender historischer Roman.

Warum erzähle ich Ihnen dies überhaupt?

Das Verblüffende an diesem an sich nicht so originellen Buch ist, dass es durch die heutige brisante Stimmung in den USA, vor dem Hintergrund des Misstrauens gegenüber Muslimen, durch ein Interview mit dem Autor auf Fox News, so sehr in das öffentliche Interesse katapultiert wurde, dass das Buch jetzt auf Amazon und in der New York Times Bestsellerliste jeweils auf Platz 1 rangiert. Über eine Million Menschen haben inzwischen das Interview auf You-Tube gesehen, in dem es im Wesentlichen nur um die Frage geht, ob es überhaupt legitim sei, als Muslim ein Buch über Jesus zu schreiben – genau diese Legitimität versucht die Interviewerin durch fadenscheinige Behauptungen dem Autor abzuerkennen. Er bleibt dabei ganz ruhig und besteht auf seinen professionellen Voraussetzungen als akademischer Forscher.

Die ganze Aufregung ist uns vielleicht unbegreiflich, aber es ist doch ein bemerkenswertes Phänomen, dass die einen offenbar Aslan unterstellen, aus Christus einen fanatischen Jihadi machen zu wollen und eine geheime Agenda mit diesem Buch zu verfolgen, während die anderen erleichtert sind, dass sich jemand traut, den historischen Wurzeln der Jesusgeschichte nachzuspüren.

Selbstverständlich kann ein Muslim ein Buch über Jesus schreiben, genau wie Christen über Mohammed oder Buddha oder sonst eine religiöse Persönlichkeit aus einer anderen Glaubenstradition schreiben können.

Aber für uns stellt sich die Frage, was wir als getaufte Christen für ein Jesusbild haben. Kann uns so ein Buch über Jesus erschüttern? Ist nicht gerade die Komplexität, die Mischung aus vielen Facetten im Charakter Jesu, wie er uns in den verschiedenen Schriften des NT begegnet, das Reizvolle, das sein Geheimnis ausmacht. Jesus begegnet uns als mild und gütig, ungeheuer mitfühlend and barmherzig, aber auch als zornig und eifernd, je geradezu fanatisch wie im heutigen Evangelium. Er reinterpretiert die Torah und verlangt radikalere Befolgung der Gebote, aber sagt dann dennoch er wolle kein Iota des Gesetzes abschaffen. So liessen sich noch viele Beispiele widersprüchlicher Aussagen Jesu finden. Ohne Zweifel hat die Bibelforschung der letzten 200 Jahre zutage gebracht, dass es viele Schichten und Bearbeitungen der Jesustraditionen im NT gibt, aber das bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass spätere Zusätze illegtime Veränderungen in der zentralen Botschaft Jesu darstellen. In den Christengemeinden, die gemäss dieser Botschaft gelebt und Eucharistie gefeiert haben, haben sich – unter dem Einfluss von Jesu Geist in ihrer Mitte – vertiefte Einsichten und Erkenntnisse im Laufe der Jahre herauskristallisiert, die zumindest für uns gläubige Christen eine Bereicherung der Kernaussagen darstellen können.

Ich glaube, 2000 Jahre haben gezeigt, dass weder wissenschaftliche Zugänge noch Glaubenszugänge die Persönlichkeit und Bedeutung Jesu ausloten können. Viele der über Jesus geschriebenen Bücher in der Leben-Jesu-Forschung scheinen letztendlich ein Bild zu zeichnen, bei dem der jeweilige Autor seine eigenen Sehnsüchte in Jesus Christus hineinprojeziert, sich selbst also einen „Wunsch-Jesus“ zusammenzimmert.

Die Elemente in der Schrift, die diesem Bild widersprechen werden dann als spätere Zusätze abgetan. Zurück bleiben meist sehr eindimensional Jesus-Figuren, von denen man sich fragen muss, wie sie je so eine erfolgreiche weltumspannende Bewegung inspirieren konnten. Denn Zeloten z. B. gab es ja bekanntlich zu Hauf im ersten Jahrhundert, warum soll dann gerade dieser Jesus Urheber des Christentums geworden sein, wenn er sich so gar nicht von den anderen unterschieden haben soll.

Für uns kann dies als Warnung dienen, eine Evangeliumsstelle wie die heutige – die ja selbst aus verschiedenen Traditionsschichten zusammengesetzt ist und keine einheitliche Perikope bildet – aus dem Kontext zu reissen und zu verabsolutieren.

Im engeren Sinn einer politschen Bewegung, war Jesus kein Zelot, aber er war durchdrungen von seinem Eifer für Gott und für sein Heilswerk. Wir tun uns schwer mit dem religiösen Eifer, weil so viel Schindluder damit getrieben wurde und wird, weil Eifer rasch in Fanatismus und Intoleranz abgleiten kann. Aber ein gewisser ‚Eifer‘ , ein Ernst, wird uns im heutigen Evangelium abverlangt – wir werden aufgerufen, zur Entscheidung für die Botschaft Jesu, die oft radikal und manchmal auch verstörend wirkt. Und wir müssen uns fragen, ob wir auch dazu neigen, uns ein bequemes, für uns leicht fassbares Jesusbild zurechtzubiegen, bei dem wir vielleicht unangenehme, schockierende Facetten seiner Botschaft und seines Auftretens negieren.

Anfeindungen und Leid und Verfolgung – wie wir vom Propheten Jeremia in der ersten Lesung gehört haben – begegnen heute Christen vielerorts und sie lesen sicher dieses Evangelium ganz anders als wir, die wir hier in Sicherheit leben und zumeist nichts für unseren Glauben riskieren müssen. Vielleicht kann uns der Blick auf diese verfolgten Christen als Mahnung gegen Gleichgültigkeit und Resignation dienen.

Jeder und jede von uns ist aufgerufen, zu prüfen, wo in unserem jeweiligen Weg der Nachfolge Jesu, eine verantwortungsvolle Stellungnahme und ein Eintreten für wahre Nächstenliebe, für Gerechtigkeit und Solidarität in unserem Umfeld von uns gefordert werden. Gerade die jetzt laufenden Slogans für die Wahlkampagne müssten uns hier Einiges zu denken geben, wenn wir uns ehrlich fragen, wer unser Nächster ist, dem unsere Aufmerksamkeit und unsere Hilsbereitschaft gelten sollten.

Die nötige Kraft und den Mut dazu schenkt uns Jesus im gemeinsamen Mahl, das wir jetzt miteinander feiern werden – bei dem wir seinen Tod bekennen und seine Auferstehung preisen.

Susanne Lehne

Eine Übersicht der Nachlesen ist hier zu finden.