Der Bischof einer Diözese hat regelmäßig seine Pfarre zu besuchen, zu visitieren. In der großen Erzdiözese Wien wird diese Aufgabe von Erzbischof Kardinal Schönborn an seine Weihbischöfe übergeben, alle Pfarren des 18. Bezirks werden im Winter 2018 von Weihbischof Dr. Helmut Krätzl besucht.
Im Rahmen der Visitation der Pfarre Gersthof hat Weihbischof Krätzl am Sonntag, 25. Februar, im Gemeindegottesdienst in seiner Predigt die heutigen Herausforderungen einer Pfarre angesprochen, darunter den Übergang der Gemeinde von Gersthof in einen gemeinsamen Entwicklungsraum des 18. Bezirks. Hier ein Mitschnitt zum Nachhören und darunter der Wortlaut zum Nachlesen.
(Lesungen des 2. Fastensonntags in Lesejahr B: Brief an die Römer 8,13b-34, Evangelium Markus 9, 2-10)
Eine offizielle bischöfliche Visitation regt dazu an, einmal den Blick in die Vergangenheit zu werfen, was in einer Pfarre entstanden ist und dann zu überlegen, welche Herausforderungen die Zukunft bringt. Der Blick zurück in der Pfarre Gersthof ist beeindruckend. Hier ist durch Jahrzehnte Gemeinde aufgebaut worden, auch im Geiste der Erneuerung durch das 2. Vat.Konzil. Und nun hat Norbert Rodt durch 42 Jahre mit großem Erfolg weitergebaut. Gersthof gehört sicher zu den lebendigsten Pfarren in der Großstadt Wien. Fast 100 Ministranten gibt es, viele Angebote für Kinder und Jugendliche, eine hochentwickelte Liturgie, 55 Gruppierungen, die ich auch in der nächsten Woche eigens besuchen werde. Ökumene ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. All das kann man nur dankbar loben und sich mit allen, die mitgearbeitet haben, darüber freuen. Nun aber geht es auch um einen Blick in die Zukunft. Ich möchte einige Probleme nennen und Anregungen machen.
1. Die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation.
Ein brennendes Problem in allen Pfarren. Selbst hier in der so lebendigen Pfarre merkt man, dass Jugendliche beim Schulwechsel oder auch sonst in den beginnenden Reifejahren sich von der Kirche distanzieren. Und doch geht es um den Glauben der Jugend, sie ist die Kirche von Morgen, sie bilden die kommenden Familien.
Der Jugend in der Pfarre ein Stück Heimat zugeben.
Die früheren Generationen, die heute noch in den Pfarrgemeinderäten vertreten sind, erinnern sich oft, dass sie ihre Kinder- und Jugendzeit in der Pfarre verbracht haben, die ihr zur zweiten Heimat geworden ist. Was kann man heute anbieten, dass sich Jugendliche in der Pfarre „zu Hause“ fühlen? Räume schaffen, zu Aktionen anregen, ihnen die Möglichkeit geben, sich auch in das Pfarrleben kritisch einzumischen. Ein wohl wichtiger Schritt in die Pfarrgemeinde ist die Erstkommunion. Hier sollten die betroffenen Familien, aber die Pfarre selbst mit den Kindern neue Zugänge zur Eucharistie finden.
Die Firmvorbereitung ist viel intensiver als früher. Nicht so sehr Wissensvermittlung, sondern vor allem das lebendige Zeugnis und Beispiel der Firmhelfer und -helferinnen soll die Jugend prägen. Aber auch hier ist der Anlass, ihnen aufgrund des nun persönlichen JA zur Taufe ihre Gliedschaft und Mitverantwortung in der Gemeinde deutlich zu machen.
2. Spirituelle Vertiefung von Liturgie und Eucharistie
Beispielhaft wird hier Liturgie vorbereitet. Die Rollenteilung bei der Gestaltung der Liturgie ist weit verbreitet. Auf die Wortverkündigung wird großer Wert gelegt, die eigene Art der Kommunionspendung unter beiderlei Gestalten, sogar mit selbstgebackenem Brot will die Zeichenhaftigkeit dieses Mysteriums begreifbarer machen. Auf diese Weise wird Liturgie lebendig und in ihren Grundzügen auch für viele Menschen verständlicher.
Dennoch ist das letzte Ziel der Liturgie die ganz persönliche Begegnung mit Gott durch Jesus Christus. Es ist schön, dass wir gerade heute das Evangelium vom Taborerlebnis hörten. Jeus holt seine Jünger aus der Mühe des Alltags auf einen einsamen Berg, wo seine Menschlichkeit mit göttlicher Herrlichkeit überstrahlt wird. Sie kennen ihn in seiner Güte und Wunderkraft. Nun hören sie „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“. Sie sind so beeindruckt von dieser Erscheinung, dass sie am liebsten dort ihre Wohnstätte aufschlagen würden.
Auf die Eucharistie bezogen, würde ich mir wünschen, dass wir dann und wann so ein Taborerlebnis haben. Dass wir die Gegenwart des Herrn in der versammelten betenden Gemeinde spüren und erleben. Dass sein Wort uns ganz zu Herzen geht und jeweils persönlich jeden von uns anruft. Dass im Augenblick des Kommunionsempfanges sich wahrhaft der Himmel öffnet, „Das ist mein geliebter Sohn“. Ihr legt so viel Wert auf die Zeichenhaftigkeit des eucharistischen Mahles. Letztes Ziel aber müsste sein, damit auch seiner Gegenwart näher zu kommen. Ich denke jetzt an die Emmaus-Jünger, die dem Herrn unterwegs nicht erkannt haben, als er aber das Brot brach, inne wurden: „Das ist der auferstandene Herr“. Wie überhaupt die Messe noch viel mehr als die Feier der Auferstehung und der wachsenden Sehnsucht auf seine Vereinigung bewusst wird, wie wir ja nach der Wandlung beten.
3. Ökumene
Was das Konzil ganz im Geiste von Papst Johannes XXIII. an Öffnung zu den anderen christlichen Kirchen wollte, ist hier beispielhaft verwirklicht worden. Gegenseitige Achtung, gemeinsame Gottesdienste, sogar austauschbare Funktionen da und dort. Im vergangenen Jahr, als wir der Reformation vor 500 Jahren gedacht haben, ist uns vieles auch neuerdings zu Bewusstsein gekommen.
Was sollte heute Schwerpunkt der Ökumene sein?
Wir sollten voneinander lernen, was es heißt „evangelisch zu leben“. Das heißt, ganz nach dem Evangelium, schon wie Jesus es uns in Wort und Beispiel gezeigt hat. Sich ganz in die Spuren Jesu begeben und ihm nachzufolgen zu den Armen und Ausgestoßenen, den Obdachlosen und den Flüchtlingen, vor allem auch ihm nachzufolgen auf dem ganz bewussten Weg hin zu Gott, seinem und unserem Vater. Evangelisch leben, wir könnten in der Ökumene viel voneinander lernen.
Ein Zweites, dass wir gerade in der Begegnung mit den anderen Religionen und einer immer säkularer werdenden Gesellschaft ein gemeinsames Zeugnis für Christus ablegen. Was uns eint, ist das Bekenntnis zu Christus und in dem müssen wir uns gegenseitig neu herausfordem und immer wieder neue Formen suchen.
In der Lesung aus dem Römerbrief hörten wir von einem Gott, der ganz für uns da ist. Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns? Aber ein Gott, der uns auch erwählt hat. Erwählt in Jesus Christus. Und das trifft uns Katholiken genauso wie getaufte Christen in den anderen Konfessionen.
Erwählt wozu?
Einer säkularen Welt aber sollten wir ein Beispiel geben, dass gläubig leben nicht eine Flucht aus dieser Welt ist, sondern vielmehr eine Kraft, diese Welt zu verändern, zu einer Gemeinschaft zu machen, die allein von menschlicher Überlegung nicht zustande kommen kann.
4. Die große Zahl derer, die die Kirche verlassen haben und sich als ungläubig bekennen
Es drängt danach, gerade mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Was hat sie veranlasst sich von der Kirche zu trennen? Was ist es, an das sie sich im Leben letztlich halten, in Freude und Leid, vor allem aber auch im Hinblick auf den Tod? Woran glauben die, die nicht glauben, so heißt ein Buchtitel. Ist nicht in jedem Menschen die große Sehnsucht da, dass es nach diesem Leben etwas gibt, damit das Kostbare nicht verloren geht und das Bruchstückhafte endlich zur Vollendung kommt. Das Gespräch mit den Fernstehenden, mit Agnostikern und Atheisten könnte uns eine neue Sprache lehren, aber auch ein Verständnis geben, was Menschen bei der Suche nach letztem Sinn wirklich umtreibt. Vielleicht bleiben wir ihnen in der Kirche viele Antworten schuldig.
5. Die gemeinsame Verantwortung im Entwicklungsraum
Die Pfarre Gersthof ist in Gefahr in ihrer großen Selbständigkeit sich selbst zu genügen. Wie immer die kommenden Strukturen sich verändern werden, im Dekanat und darüber hinaus, gilt es zwei Dinge zu beachten:
Erstens einmal, sich seiner eigenen Identität bewusst zu werden und bereit zu sein, das was sie hier erfüllt, mit anderen Pfarren zu teilen. Das heißt nicht Aufgabe der eigenen Pfarre, sondern sich der Eigenheit bewusst werden, weil man nur dann mit anderen teilen kann.
Ein Zweites aber ist, dass man bei allem Stolz auf das Gelungene doch schaut, was in anderen Pfarren geschehen und gewachsen ist, was auch in Gersthof vielleicht zu wenig beachtet wurde. Schließlich voneinander zu lernen.
Am Ende aber wäre die Zusammenarbeit der Pfarren so wichtig, um sich Mut zu machen, sich im wahrsten Sinn des Wortes „politisch“ in das Geschehen dieser Stadt einzumischen. Gemeint ist nicht Parteipolitik. Gemeint ist eine Gesinnung zu verbreuten, die aus der Nachfolge Jesu kommt.
Religion darf nie Privatsache sein. Sie ist eine wesentliche Kraft menschlichen Zusammenlebens.
Die noch nicht ganz gewisse Zukunft neuer Strukturen macht manchem Angst. Sie soll aber vielmehr Herausforderung sein, selbst mitzudenken, was noch besser gemeinsam geschehen kann. Visitation gerade in dieser Zeit des Umbruches soll Mut machen, mit der ganzen Diözese zu einem größeren Miteinander bereit zu sein. In den nächsten Jahren wird sich so manches ändern. Strukturell und damit auch personell. Aber immer ist es Gott, der uns führt. Der Gott für uns, wie uns Paulus im Römerbrief gezeigt hat. Gerade eine Pfarre mit seiner großen Vergangenheit ist herausgefordert, alle Erfahrung und Kräfte vor allem, aber auch ihre Jugend einzusetzen für eine neue Gestaltung hier im Dekanat. Die innere Größe der Pfarre wird sich letztlich dabei erweisen, wie sie gewissermaßen selbstlos zu Neuerungen bereit ist, sie mitgestaltet und auch mutig die Verantwortung in die Hände der jüngeren Generation übergibt.
Den Segen Gottes dafür erbitte ich und wie ich hoffe gemeinsam mit ihnen allen, heute am Tage der Visitation.
Eine Predikt die man sich verinnerlichen sollte. Sehr offen und ehrlich..und zum nachdenken anregt
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