Christliche Politiker folgen ihrem Gewissen, nicht einem Bischof

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Das Profil christlicher Politiker habe sich in den letzten 100 Jahren deutlich geändert. Während in der Zwischenkriegszeit (1918 – 1938) die christlichsozialen Politiker unter direktem Einfluss der katholischen Kirche in Österreich standen, folge heute ein christlicher Politiker in erster Linie seinem gebildeten Gewissen. Dies stellte Dr. Andreas Khol, lange Jahre leitender Politiker der ÖVP und früherer Nationalratspräsident, am 24.1.2019 bei einem Vortrag in der Pfarre Gersthof zum Thema „Christen in der Politik, ihre Aufgaben heute“ fest.

Zur Kritik, dass die ÖVP keine christlichsoziale Partei sei, erinnerte Khol daran, dass diese Partei so nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden sei: offen für Christen und ihre Anliegen und Vorstellungen, aber nicht laut Parteiprogramm einer christlichen Kirche verpflichtet. Das habe aber einen konkreten Einfluss, rund 60% der regelmäßigen Mitfeiernden von Sonntagsgottesdiensten sind ÖVP-Wähler und rund ein Drittel der ÖVP-Abgeordneten sind solche Mitfeiernde. Ein weiteres Drittel sind sogenannte Kulturchristen, also Personen die eine christlich geprägte Kultur priorisieren, ohne selbst in einer Kirche aktiv zu sein und ein weiteres Drittel sind Politiker mit einer anderen persönlichen Orientierung.

Der Nationalratspräsident von 2002 bis 2006 und engagierte Katholik Khol erklärte auch, dass es heute auch christlichen Politikern zustehe, Kritik an kirchlichen Papieren zu üben. So betrachte er etwa die kritischen Gedanken von Papst Franziskus zum Thema Armut in seiner Enzyklika „Laudato Si“ (2015) als übertrieben. Denn die weltweiten Statistiken zeigen, dass die Ziele der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Armut deutlich früher erreicht wurden, als vorgegeben, der Anteil an Menschen in Armut sei weltweit gesunken.

Die an den Vortrag von Dr. Khol anschließende Diskussion drehte sich vor allem um das Thema Migration und Sozialleistungen. Khol erklärte, dass etwa die Kritik an der Reduktion der Mindestsicherung in der Regel andere unveränderte Sozialleistungen übersehe. Und bei den Sozialleistungen insgesamt müsse beachtet werden, dass diese auch aus den Steuerleistungen in Österreich gedeckt werden müssen.

Zum Thema Migration wurden von Gersthofern kritisiert, dass in der Politik der aktuellen Regierung bei Personen die nach Österreich kommen deren menschliche Not kaum Beachtung finde und nur formale Kriterien eine Rolle spielten. Dazu erwiderte Khol „wir wollen nur legale Einwanderer“. Von Leuten die aus wirtschaftlichem Interessen einwandern wollen müsse man aber jene unterscheiden, die aufgrund von Verfolgung nach Österreich kommen und hier den Status von Asylanten erwerben können. Für beide Gruppen gelte, dass ihre Akzeptanz beziehungsweise Anerkennung nach den rechtlichen Vorgaben in Österreich erfolgen solle. Wenn gegen ins Land gekommene Personen vorgegangen werde, dann seien dies vor allem Menschen, die den rechtlichen Vorgaben nicht entsprechen oder gegen sie verstoßen haben. Khol räumte aber auch ein, dass es in der klaren Unterscheidung, wer den Vorgaben entspreche und wer nicht, eine Grauzone gäbe und aus dieser auch berechtige Kritik am Verhalten der Behörden hervorginge.

 

Fotos: Michael Steidl