Gedanken zu den Sonntags-Bibelstellen – 30.3.

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Frauen und Männer aus unserer Gemeinde werden immer wieder von Pfarrer Norbert  eingeladen, ihre Gedanken zur den Lesungen des Sonntags allen Gottesdienstbesuchern vorzutragen.

Hier die Gedanken von Susanne Lehne zu Johannes, 9, 1-41 sowie 1 Sam 16,1b.6-7.10-13b und Eph 5,8-14 vom 30.3.2014:

Liebe Brüder und Schwestern in Christus,

die österliche Bußzeit gilt von jeher in unserer Kirche als die Zeit in der sich die Taufbewerber in besonderer Weise auf die bevorstehende Taufe in der Osternacht vorbereiten. Im Ritus für den Katechumenat der Erwachsenen, den das 2. Vatikanum wiederentdeckt und neu belebt hat, gelten die 40 Tage als die Zeit der „Purifikation“ und „Illumination“ – also die Zeit der Reinigung und der Erleuchtung. Auch wir, die wir zumeist als Säuglinge getauft wurden, können diese 40 Tage als Zeit der inneren Reinigung und Läuterung verstehen und nützen. Denn am Ostermorgen wenn wir uns um das Taufbecken versammeln, werden wir eingeladen, unser Taufversprechen zu erneuern.

Die drei großen Evangelien aus Johannes, die diesen Prozess von alters her in kirchlicher Tradition begleiten, hören wir heuer erneut. Letzten Sonntag der Dialog Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (aus Joh 4), heute die Heilung des Blindgeborenen (aus Joh 9), nächsten Sonntag dann die Auferweckung des Lazarus (aus Joh 11). Wasser, Licht und Leben sind die drei Ursymbole, die das Heilswerk Jesu für uns verkörpern. In diesen Geschichten begegnet uns Jesus selbst als das lebenspendende Wasser, als das Licht der Welt und als die Auferstehung und das Leben.

Heute ist der Tisch des Wortes so reich gedeckt, dass wir leider das Evangelium in gekürzter Fassung hören mussten. (Wie schon Pfr. Norbert am letzten Sonntag vorgeschlagen hat, empfehle auch ich jenen, die Interesse haben, das gesamte Kapitel 9 in Ruhe daheim nachzulesen).

Der Evangelist Johannes hat eine Tradition einer Heilungsgeschichte aus der Zeit Jesu aufgegriffen und für seine christologischen Zwecke ausgestaltet. Es gibt in den verschiedenen Evangelien einige Geschichten von Heilungen Jesu an blinden Menschen – vorallem die des blinden Bartimäus ist uns vielleicht allen geläufig. Hier bei Johannes handelt es sich um einen blindgeborenen Menschen, wie ausdrücklich betont wird. Und die Art der Heilung ist auch eine besondere, nämlich das Kneten eines Teiges, den Jesus auf die Augenlider des Blinden streicht und dann die Aufforderung, sich im Teich Schiloach zu waschen. Erst durch die Waschung erfolgt dann der Vollzug des wundersamen Zeichens. Es liegt nahe, dass man diese heilsame Waschung, die im buchstäblichen Sinn neue Sehkraft, aber dann auch im Laufe der Geschichte im übertragenen Sinn tiefe Einsicht und Erleuchtung geschenkt hat, mit der Taufe in Verbindung gebracht hat. Denn schon im Urchristentum hat man die Taufe auch als „Erleuchtung“ bezeichnet (siehe Heb 6,4; 10,32). Ebenso findet sich die Geschichte des Blindgeborenen auf Darstellungen in den Katakomben als Illustration für die Taufe.

Die nun folgenden Dialoge sind meisterhaft vom biblischen Autor gestaltet. Es gibt gleich vier Befragungen: zuerst werden die Nachbarn befragt, es folgt ein erstes Verhör des Blindgeborenen durch die Pharisäer, danach kommt eine Befragung der Eltern des Geheilten, zuletzt ein zweites Verhör  durch die sogenannten „Juden“ und dann erst trifft der geheilte Mann auf Jesus und kommt zum Glauben und bekennt sich zu Jesus als seinem Herrn. Schlussendlich gipfelt die Geschichte in der paradoxen Aussage Jesu, dass sein Kommen die Blinden sehend und die Sehenden blind mache.

Die Geschichte wird vom Evangelisten besonders dramatisch geschildert, um seine zentrale Aussage zu unterstreichen. Ein Mann der bisher sein ganzes Leben lang in Dunkelheit verbringen musste, kommt durch die Begegnung mit Jesus zum Licht – er wird physisch und spirituell geheilt. Das spielt sich in einem graduellen Steigerungsprozess ab: zuerst spricht der Geheilte nur von „dem Mann, der Jesus heißt.“ Unter dem Druck der Pharisäer im 1. Verhör bezeichnet er Jesus dann als „Propheten.“  Schließlich erkennt er dann am Ende der Geschichte in Jesus den „Menschensohn.“

Genau parallel zu dieser Steigerung der Bekenntnisse des Blindgeborenen nimmt das Verständnis der jüdischen Gelehrten zusehends ab. Sie, die sich als im Besitz der vollen Wahrheit wähnen und gesetzestreue Jünger des Mose sind, enden in Verblendung durch ihre Weigerung zu sehen und zu erkennen.

Im 1. Verhör scheinen zumindest manche unter ihnen das Faktum der Heilung anzuerkennen. Manche regen sich über die Verletzung der Schabbatbestimmungen auf, aber andere wollen den Mann zumindest anhören und interessieren sich für seine Beurteilung Jesu.

Allmählich  jedoch gewinnen die feindseligen Elemente die Oberhand und so wie anderswo im Johannesevangelium werden die jüdischen Obrigkeiten hier nur noch abfällig als die „Juden“ bezeichnet, (was wir auf die auf die akuten Spannungen zwischen der lokalen jüdischen Gemeinde und der johanneischen Gemeinde viele Jahrzehnte nach Jesu Tod zurückführen müssen). Diese „Juden“ also  interviewen die Eltern des Geheilten und bezweifeln sogar, dass er als Blinder zur Welt gekommen sei.

Dann verhören sie erneut ihn selbst und versuchen ihm eine Falle zu stellen, indem sie prüfen, ob er von seiner ersten Darstellung abweicht, wenn er nochmals die ganze Abfolge der Wunderheilung schildern muss. In der eskalierenden Auseinandersetzung berufen sie sich auf ihre Abstammung von Mose und leugnen vehement, dass Jesus von Gott stammen könne. Sie geben sich so selbstsicher, dass sie sowohl Jesus als auch den Blindgeborenen als hoffnungslose Sünder abstempeln und schlussendlich den Mann aus ihrer Synagoge hinauswerfen.

So fungiert die Geschichte bereits im Evangelium selbst auf zwei Ebenen: die Zeit Jesu in den 30er Jahren des 1. Jhd. in der das wundersame Zeichen vollbracht wurde und die Zeit der Endredaktion des Evangeliums gegen Ende des 1./Beginn des 2. Jhd, als es zu immer größeren Spannungen zwischen der lokalen jüdischen Gemeinde und der johanneischen Gemeinde derer die an Christus glauben kommt. In dieser johanneischen Gemeinde hat es sicher auch viele Judenchristen gegeben and der scharfe Ton der geschilderten Auseinandersetzungen verrät uns, wie gross die Entfremdung von ihren jüdischen Ursprüngen gewesen sein muss. Heute vermutet man in der Forschung, dass es zu Beginn des 2. Jhd. zwar kein offizielles Dekret zur Exkommunikation der Judenchristen aus den Synagogen gegeben hat, da es noch keine übergeordnete Instanz im damaligen Judentum gegeben hat. Allerdings muss es vereinzelt durch den Druck der beginnenden römischen Christenverfolgungen unter Kaiser Trajan (siehe Pliniusbriefe X, 96-97) zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein, da die Römer Juden und Judenchristen nur schwer unterscheiden konnten und somit Juden sich deutlich von jenen, die den Glauben an Christus angenommen hatten, abgrenzen mussten, um nicht wie diese verfolgt zu werden.

Durch verschiedene Stilelemente unterstreicht der Verfasser, dass der Blindgeborene demütig und offen für Neues ist und daher stetig in Einsicht und im Glauben wächst, während die Pharisäer durch ihre Abwehr und Verhärtung immer tiefer in die Verblendung und schließlich in die Dunkelheit versinken. Dreimal im Laufe des Dramas gesteht der Geheilte demütig seine Unwissenheit ein (vs. 12, 25, 36). Dreimal hingegen behaupten die Pharisäer mit dem Brustton der Überzeugung genau über Jesus Bescheid zu wissen (vs. 16, 24, 29).

Der Autor des 4. Evangeliums hat also eine frühe Wundergeschichte benutzt um meisterhaft darzustellen, wie in Jesus das Licht über die Dunkelheit triumphiert hat. Er möchte damit den Glauben seiner Gemeinde an Jesus als das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) stärken und festigen. Schon im Prolog des Evangeliums heisst es, dass der „Logos“, also das fleischgewordene Wort Gottes in Jesus, das „wahre Licht“ sei, das jeden Menschen erleuchtet (Joh 1,9). Am Ende der Unterredung mit Nikodemus, folgt ein Gerichtsspruch ähnlich dem mit dem die heutige Erzählung endet: „Das Licht kam in die Welt und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. ..Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind (Joh 3,19. 21).“

Kommen wir nur zur 3. Ebene – zu unserer Zeit: was bedeutet nun diese Geschichte für uns heutige Christen? Können wir uns in dem Blindgeborenen wiederfinden? Einerseits können sich die meisten von uns, Gott sei Dank, nicht vorstellen, was es heisst tatsächlich blind zu sein. Ferner können wir uns nur schwer vorstellen was für eine radikale, lebensverändernde Entscheidung es für die frühen Christen gewesen sein muss, sich taufen zu lassen. Die heutige 2. Lesung drückt das klar aus: „Einst wart ihr in Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! (Eph 5,8).“ Zumeist ist uns heute so ein Dualismus äusserst fremd geworden. Wie also können wir uns rückbesinnen auf unsere Taufe und versuchen, sie als heilende Befreiung, als Geschenk neuen Lebens in Christus zu begreifen? Wie können wir als „Kinder des Lichts“ leben?

Wir können damit beginnen, uns ehrlich zu fragen, auf welche Weise wir blind sind. Wo sind die dunklen Ecken in unserem Leben? Wahrscheinlich haben die meisten von uns solche Teile des Lebens, die wir lieber vor Gott, vor anderen Menschen und vielleicht sogar vor uns selbst verschliessen wollen. Jesus kann uns die Kraft geben, einmal ehrlich hinzusehen. Wenn wir versuchen, uns einzugestehen, wo diese Bereiche sind, die wir nicht sehen wollen, kann das vielleicht ein erster Schritt zur Heilung und zur Umkehr sein.

Das braucht viel Vertrauen.  Kann und will ich mich von Jesus berühren lassen? Wenn ich mich von ihm berühren lasse, kann das womöglich weh tun, denn es kann zu Veränderung führen. Vielleicht muss ich dabei liebgewonnene Gewohnheiten und Sichtweisen aufgeben. Wahrscheinlich muss ich aufmerksamer werden, genauer hinsehen, um Christus in meinen Mitmenschen zu erkennen. Wahrscheinlich muss ich erneut lernen, mir meine Verblendungen und Vorurteile einzugestehen. Vielleicht erkenne ich die selbstsichere Haltung der Pharisäer auch in mir? Die heutige 1. Lesung ermahnt uns: „der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (1 Sam 16,7). Wir können also darum bitten, mit Gottes Hilfe unseren Mitmenschen ehrlicher und einfühlsamer zu begegnen, damit wir uns nicht durch ihr Äusseres verblenden lassen – weder im Positiven noch im Negativen.

Es gibt auch viel Dunkelheit in uns und um uns, gegen die wir scheinbar machtlos sind. Wir sind umgeben von Leid und Tod. Gott erspart uns Vieles nicht, aber wir haben die Zusage Gottes, dass er mit uns durch jedes Dunkel geht, bis in den Tod hinein und sogar darüber hinaus. Mitten im Dunkel ist er ganz bei uns.

„Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil: denn du bist bei mir“, wie es im heutigen Antwortpsalm 23 heisst.

Die heutigen Bibeltexte wollen uns Mut machen, uns für das Licht Christi, das wir in der Taufe empfangen haben, zu öffnen. Sie wollen uns wach rütteln aus dem Alltagstrott, in dem wir oft zu versinken drohen. Der Verfasser des Epheserbriefes ruft uns zu: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein!“ (Eph 5,14).

Kann ich wahrhaft Jesus als meinen Lebensquell, als das Licht welches mein Leben durchdringt und beseelt begreifen? Erwarte und erhoffe ich mir überhaupt durch Christus eine Veränderung, eine Befreiung – eine Erhellung der Dunkelheit in meinem Leben? Diese Fragen werden uns sinngemäss am Ostermorgen gestellt werden. Es bleiben uns noch 3 Wochen um uns im Alltag, im Gebet, im Gespräch mit anderen auf diese Fragen vorzubereiten.

Möge am Ostermorgen das Licht Christi nicht nur an der Osterkerze brennen, sonder in uns allen aufstrahlen, damit wir es hinaustragen können in die Welt!