Frauen und Männer aus unserer Gemeinde werden immer wieder von Pfarrer Norbert eingeladen, ihre Gedanken zur den Lesungen eines Sonntags oder Feiertags allen Gottesdienstbesuchern vorzutragen.
Hier die Gedanken von Stefanie Huber zu den ostermorgendlichen Lesungen aus Röm 6, 3-11 und Mt 28, 1-10.
Lieber Pfarrer Norbert, letzten Freitag habe ich dir meine Gedanken zum heurigen Osterfest in Kurzform erzählt. Ich habe erzählt, dass ich glaube, dass es auch in der diesseitigen Welt ein Berühren des Unvergänglichen gibt und vom Fundamentwechsel, den ich erfahre. Danke, dass du mich gefragt hast, ob ich die Gedanken, die ich mir gemacht habe, selber vorbringen möchte. Du hast mich auch darauf aufmerksam gemacht, dass das heurige Osterfest auch insofern besonders für mich ist, weil ich heuer 30 werde.
Für viele von Ihnen bin ich ein bekanntes Gesicht, viele von euch kennen mich. Ich bin hier in der Pfarre Gersthof groß geworden. Auch außerhalb der Pfarre bin ich sehr behütet aufgewachsen, bis ich dann vor zwei Jahren in meiner heilen Welt das erste Mal mit einem großen Abschied konfrontiert worden bin. Kurze Zeit darauf ist der Freund meiner Schwester an Krebs erkrankt und acht Monate später im Alter von 28 Jahren gestorben.
Dadurch war ich gezwungen, meinen bisher sehr geradlinigen und sicheren Weg ein Stück weit zu verlassen bzw. diesen zu überprüfen und neu zusammenzusetzen.
Mit der Botschaft des Osterevangeliums, haben sich meine Familie und ich letzten Juni anders als bisher auseinandergesetzt.
Unmittelbar nachdem der Freund meiner Schwester im AKH verstorben war, kamen wir zu ihr und nahmen ebenfalls Abschied von Thomas. Obwohl nun der Moment eingetreten war, vor dem wir uns so gefürchtet hatten, war ein großer Frieden im Zimmer spürbar. In dem Moment war alles gut. Der Körper, der dort am Totenbett lag, das war nicht er, das war nur seine Hülle. Und gleichzeitig habe ich gespürt, dass Thomas, so wie ich ihn gekannt habe, in seiner Art und Fröhlichkeit, nicht verloren gegangen war. Ebenfalls im Raum anwesend war Mercedes, die zu uns meinte: „Vielleicht verstehe ich jetzt zum ersten Mal die Osterbotschaft. Könnte es nicht sein, dass die Geschichte genau diese Erfahrung ausdrückt, die wir gerade erleben? Die Frauen, die im Grab von Jesus waren, und im übertragenen Sinn erfahren haben, dass das Grab leer war, dass der Mensch, den sie so gut kannten, nicht mehr da war. Weil dieser tote Körper eben nicht mehr dieser Mensch ist. Und daraufhin vor dem Grab eine Begegnung und die Erfahrung und Gewissheit – es gibt etwas vom Menschen, das ist größer als der Tod, das bleibt, das überlebt auch den Tod.“
Ich habe im Zuge der Ostervorbereitung einen Text gefunden, der diese Erfahrung auch ausdrückt:
Wer einen Menschen
bis an die Schwelle
des Jenseits begleitet,
darf etwas Unvergessliches
erleben.
Er nimmt mit eigenen Sinnen
wahr, dass der Tote (also sein Körper)
nicht die dahingeschiedene
Person ist – und die Person
nicht tot ist.
Nach dem Tod hat sich mir sehr intensiv die Frage gestellt, wie ein 28jähriges Leben sinnvoll gewesen sein kann, wenn doch in diesem Alter noch so viel vor einem liegt und sich Krankheit und Tod in einer Lebensphase ereignen, die eigentlich ganz anderen Themen, wie der Familiengründung, dem Berufseinstieg, usw gewidmet sein sollte. Wenn doch so vieles offen geblieben ist, was zu einem – nach unserer Meinung – erfüllten Leben dazu gehört.
Und weil ich daran glauben möchte, dass jedes Menschenleben in sich sinnvoll ist, habe ich mir die Frage gestellt, ob dann der Sinn vielleicht durch etwas anderes gegeben ist. Was ich mir von seinem kurzen Leben mitnehme ist folgendes: in zwischenmenschlichen Beziehungen einen guten Nachgeschmack hinterlassen.
Vor diesem Erlebnis war für mich klar, ich habe noch mindestens 60 Jahre zu leben. Zeit, alles zu erreichen, was ich erreichen möchte. Durch diesen Tod war diese Sicherheit weg. Zum ersten Mal war für mich die Endlichkeit ganz konkret greifbar. Was möchte ich in meinem Leben erreichen, wenn es vielleicht nur noch 3 Jahre dauert? Da verschieben sich die Wertigkeiten.
Durch diese nahe Berührung mit dem Thema Tod ist mit einem Mal vor mir gelegen, was alles im Leben vergänglich ist.
Zum Vergänglichen gehören mein Beruf, meine Wohnung, mein Körper, meine Rollen – ich als Schwester, ich als Freundin, ich als Tochter, … – das alles kann ich nicht mitnehmen, wenn ich sterbe.
Das sind aber im Großen und Ganzen die Dinge, die mein Leben bestimmen, die Dinge, über die sich unsere Gesellschaft definiert, und die dadurch über Sein oder Nicht-Sein entscheiden. Wenn ich in einer Beziehung bin, einen guten Beruf habe, wenn ich Leistung erbringe, dann bin ich wer. Wenn ich das alles nicht habe, bin ich niemand.
Und das ist ein weitere große Erfahrung, die mich seit zwei Jahren begleitet: Ich BIN trotzdem.
In all dem Abschied nehmen und mich neu ordnen, bin ich einer Liebe begegnet, die IST, die kann man nicht machen. Eine Liebe, die hinter den Dingen steckt. Eine Liebe die alles zusammenhält.
Blitzlichtartig ist eine Liebe spürbar geworden, eine Zugehörigkeit, die jeden Abschied, und sogar den Tod, die alle Zeit überdauert, die sozusagen ewig ist.
Das Diesseits, also unser Leben im Vergänglichen ist geprägt vom dualistischen Prinzip, von richtig und falsch, gut und böse, schön und hässlich, Erfolg und Misserfolg. Alles was einem widerfährt, wird sofort bewertet. Das fühlt sich gut an, das fühlt sich schlecht an. Dieser Mensch handelt richtig, dieser Mensch handelt falsch. Du bist stark und du bist schwach.
Hier möchte ich auf die heutige Lesung (aus dem Römerbrief) zurückkommen. Für mich beschreibt die heutige Lesung einen Prozess. Nämlich den Fundamentwechsel vom Vergänglichen zum Unvergänglichen.
Durch ein äußeres traumatisches Erlebnis ausgelöst, kommt es zu einer inneren Umschichtung, einem Prozess, wo bisherige Wertigkeiten in Frage gestellt werden. Die Lesung spricht davon, dass man den alten Menschen hinter sich lässt. Der alte Mensch lebt mit den Wertigkeiten des Vergänglichen.
Die Lesung sagt, wer stirbt, wer loslässt, lässt all seine Vergänglichkeit zurück. Die Lesung beschreibt also einen Vorgang, wo die Wertigkeiten des Vergänglichen keine Macht mehr über uns haben. Es gibt etwas, das ist größer als jede Vergänglichkeit, nämlich die Unvergänglichkeit. Diese Unvergänglichkeit wird zum neuen Fundament. Wenn man aus diesem Fundament der Unvergänglichkeit heraus handelt, kann (ich zitiere den Originaltext der Lesung) „Gott meine Glieder als Waffen im Kampf für das Gute einsetzen“. Diese Formulierung klingt für mich sehr hart. Aber sie sagt schön, dass ich sozusagen im Auftrag eines Anderen handle. Dass ich zu einem Werkzeug des Friedens werde. Wobei Gott nicht von außen Befehle erteilt. Es ist ein Prozess, der sich aus dem Inneren heraus entwickelt. So wie die Knospen und Blüten im Frühling aus dem Inneren herausquellen, so quillt friedliches Handeln aus einem.
Also noch einmal zusammengefasst: Es geht um einen Prozess, in dem das Vergängliche einen adäquaten Stellenwert im Leben bekommt. Es geht um die Erfahrung, dass ich Teil des Unvergänglichen bin. Schon jetzt, nicht erst nach meinem Tod. Nicht mehr das Vergängliche ist mein Fundament, mein Grund und Boden auf dem ich stehe, sondern das Unvergängliche. Und es gibt ein Handeln aus dieser Unvergänglichkeit heraus.
Durch den Kontrollverlust in den Situationen des Abschieds habe ich mein Leben aus der Hand geben müssen. Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Durch den Kontrollverlust bin ich darauf sensibilisiert worden, dass es darunter einen anderen Boden gibt, der noch viel mehr trägt. Ich habe erlebt, dass ich das Leben nicht in der Hand halten muss, weil es mich liebevoll in der Hand hält. Weil ich auf so festem Grund stehe, verlieren die Wertigkeiten des Diesseits, des Vergänglichen ihre Macht und ich muss nicht mehr aus ihnen heraus handeln.
Weil mein Sein oder Nicht-sein nicht mehr von dieser Ebene abhängt. Das erweitert mein Handlungsspektrum.
Es geht nicht darum, keine Fehler mehr zu machen. Es geht darum, Fehler nicht als Bedrohung anzusehen oder zu erleben. Es geht darum, das Scheitern in die eigene Komfortzone hereinzuholen.
Dadurch wird das Leben spielerischer, beweglicher. Das Leben wird aber auch angstfreier und sorgloser.
In einem Moment bin ich groß, im nächsten klein. Das geht, weil das Klein-sein keinen Gesichtsverlust mehr bedeutet.
Und das geht aber nur, weil ich vorher die Gewissheit erlebt habe, dass ich hinter allen Dingen und Ebenen groß BIN. Weil ich mich als angenommen erlebe. Wie ein kleines Kind, das sich von seiner Mutter beschützt fühlt und sich daher traut, Neues auszuprobieren.
Ich stelle mir das wie ein selbstregulierendes System vor. Dort wo viel Platz ist, nehme ich viel Platz ein, dort wo wenig Platz ist, nehme ich wenig Platz ein. Dieses Bild ist mir in der Straßenbahn gekommen, als ich neben einem kräftigen Menschen nur noch ein Drittel der beiden Sitze zur Verfügung hatte. Mein erster Gedanke war, den Platz, der mir zusteht, einzufordern. Aber andererseits braucht die andere Person in dem Moment einfach mehr Platz und ich komme mit weniger aus. Also kann ich für diese viertel Stunde mit weniger Platz auskommen. Beim nächsten Mal hab ich vielleicht zwei Sitze zur Verfügung.
Vorhin habe ich gesagt, dass das Vergängliche seinen adäquaten Stellenwert im Leben bekommt. Ich denke es ist sehr wichtig bei den „profanen“ Spielregeln des Lebens mitzuspielen. Es ist wichtig zu wissen, das gehört mir, das gehört dir. Es ist wichtig meine Rollen einzuhalten, die Rolle als Schwester, die Rolle als Tochter, die Rolle als Pfarrmitglied. Es ist wichtig sich Ziele zu stecken, etwas erreichen zu wollen. Das gibt meinem Leben Struktur.
Mein letzter Halt jedoch, das habe ich in Blitzlichtern erfahren, der gründet sich im Urgrund, in der Unvergänglichkeit des Lebens.
Herzliche Gratulation zu dem sehr persönlichen Glaubenszeugnis! Ich hoffe, es folgen weitere…
Liebe Grüße aus der Pfarre Kottingbrunn!
Gabriela Rosenkranz
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