„Der Herr ist auch in diesem Dunkel mit uns“

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Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn hat zum Beginn des Advent einen Brief an alle Menschen der Erzdiözese Wien gerichtet. Darin spricht er das Gemeinsame von Advent und der bedrängenden Situation des Coronavirus: wir warten, dass es wieder hell wird. Hier finden Sie den Text des Briefes.


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Mitbrüder!

In den letzten Wochen haben Sie oft von unserem Krisenstab Infomails bekommen. Der Anfang des neuen Kirchenjahres mit dem ersten Adventsonntag gibt mir Gelegenheit, dem Krisenstab für seine oft mühevolle Arbeit herzlich zu danken und Ihnen allen ebenso, die sie die Last der Umsetzung in die Praxis geduldig, vielleicht manchmal auch murrend, aber im Sinne der Solidarität mittragen. Heute aber soll es nicht nur um die vielen praktischen Fragen gehen. Ich möchte Ihnen einige einfache Gedanken zur adventlichen Grundhaltung zukommen lassen, zum Warten und Hoffen.

Warten – wir erleben dieses große, zentrale Thema des Advents heuer in einer unerwarteten, ungewohnten, bedrängenden Art und Weise. Wir warten als Gesellschaft auf ein Heilmittel gegen Corona, wir warten, wie sich die von der Regierung gesetzten Maßnahmen auswirken, wir warten, dass die Zahl der Ansteckungen, die Zahl der Intensivpatienten zurückgehen. Wir warten in verordneter Quarantäne, ob wir uns angesteckt haben. Wir warten nach Testung auf das hoffentlich negative Testergebnis. Wir warten, wenn ein Familienangehöriger, ein naher Freund, eine Freundin, krank geworden ist, darauf, dass es ihm, ihr besser geht. Wir warten darauf, was Corona mit der wirtschaftlichen Situation dieser Welt macht, wie es mit Arbeitsplätzen im kommenden Jahr weitergehen wird. Wir warten darauf, dass Gemeindeleben endlich wieder „normal“ ablaufen kann.

Wir warten und wir hoffen. Hoffen, uns nicht angesteckt zu haben, hoffen auf ein negatives Testergebnis, hoffen auf Genesung, hoffen auf die schnelle Entwicklung eines wirksamen Medikamentes, hoffen, den Arbeitsplatz nicht zu verlieren, hoffen, halbwegs unbeschadet durch die Krise zu kommen. Hoffen, dass es besser wird. Hoffen, dass alles wieder gut wird.

Eigenartigerweise tragen wir dieses Hoffen, oft gegen jede Hoffnung tief in uns. Ein Hoffen, das uns Kraft gibt, auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen. Viele von uns haben dieses Hoffen als Kind gelernt, in der Umarmung unserer Eltern, wenn etwas Schlimmes geschehen ist und sie gesagt haben: „Es wird alles gut“. Wir haben Lebenskrisen durchstanden, weil „es weitergeht“. Als Glaubende haben wir vielleicht schon erfahren, dass dieses „Es“ einen Namen hat, sodass wir sagen können: „Er“ hat alles gut gemacht und „Er“ geht weiter mit uns. Er hat alles gut gemacht. Mit diesem Loblied beginnt ja die Bibel. Der Refrain dieses Liedes lautet: Er sah, dass es gut, sehr gut war. Die ersten Worte Gottes an Abram sind „Geh“, verbunden mit einer zugesagten Hoffnung, ja einer Verheißung. Verbunden letztlich mit der Verheißung Gottes, mit Abram und seinen Nachkommen unterwegs zu sein. Er geht mit uns.

Was heißt das, Gott ist gerade in dieser Zeit mit uns unterwegs? Gerade dann, wenn wir die gewohnten Formen dieses Unterwegs-Seins in unseren Pfarren und Gemeinschaften nicht oder nur in sehr eingeschränkter Form feiern bzw. erleben können? „Auch im Dunkel bist du zugegen“, betet der Psalmist. Kann uns diese Zeit helfen, Gott im Ungewohnten, im Bedrängenden, in der Einsamkeit, im Dunkel zu entdecken? Etwa im vielleicht ungewohnten gemeinsamen Gebet zu Hause, im persönlichen Gespräch über Telefon oder Videochat? In der ganz reduzierten, schlichten Messfeier? Im Mitfeiern der Messe über Radio, Fernsehen oder Livestream? Im erneuten Entdecken, wie wichtig und wertvoll uns Freunde, Freundinnen und Verwandte und die Begegnung mit ihnen ist, genau deshalb, weil sie uns jetzt abgeht. Im Erahnen dessen, was im Leben wirklich wichtig ist und trägt.

Corona hat uns in vielen Bereichen unserer Gesellschaft aus den gewohnten Lebensbahnen gerissen. Ich bin überzeugt davon, dass der Herr auch und genau in diesem Dunkel mit uns ist, mit uns geht. In unserer Hoffnung, die uns sagt: Es wird wieder gut, in der Erfahrung jedes Schrittes, den er mit uns tut, in den veränderten Lebensperspektiven, vor denen wir stehen. Es braucht Zeit, bis sich die Augen an das Dunkel gewöhnen. „Auch im Dunkel bist du zugegen“. Sogar im Todesdunkel, können wir aus der Ostererfahrung hinzufügen. In einer Zeit der Dunkelheit betet Dietrich Bonhoeffer:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Diese Gewissheit wünsche ich Ihnen in dieser Adventzeit des Wartens und des Hoffens auf das Kommen Jesu Christi in diese unsere, Seine Welt, in der heiligen Weihnacht.

Mit herzlichen Segenswünschen
Ihr
Christoph Kard. Schönborn

Hier können Sie den Brief in Form einer PDF-Datei herunterladen: Kardinal Schönborn Adventbrief 2020